Ein Umbruch im Finanzparadies Schweiz

Ist das Verstecken von Geldern überholt? — Sünder auf der Flucht nach vorne - 19.03.2013 08:00 Uhr

NÜRNBERG  - Steuersünder versuchen noch immer in letzter Minute, den Gang vor den Richter zu vermeiden. Ihre Fälle zeigen auch: Obwohl das Steuerabkommen zwischen Deutschland und der Schweiz im Vermittlungsausschuss scheiterte, hat der Umbruch im Steuerparadies Schweiz längst begonnen.

Wer Bernd J. Fuhrmann in seiner Kanzlei am Nürnberger Prinzregentenufer besucht, will sich selbst beim Finanzamt anzeigen. Und endlich wieder gut schlafen. Seit deutsche Behörden im Jahr 2006 begannen, die Daten mutmaßlicher Steuersünder zu kaufen, rollt die Selbstanzeigewelle. Zweieinhalb Milliarden Euro flossen bereits zusätzlich in die Staatskassen, rechnete der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) vor. Und die Welle rollt noch immer. 

Rechtsanwalt Fuhrmann überquerte für „Anleger“ aus Nürnberg und der Region mittlerweile gut 2000 Mal die Grenze zur Schweiz. Freilich gibt es Steuersünder, die ihre Vermögen weiterschieben, auf die Bermudas etwa oder die Bahamas. Doch wer auf die Schweiz setzte, dem bleibt bald nur noch die Flucht nach vorne. Direkt ins heimische Finanzamt.

Ende des Anleger-Idylls

Denn in der Steueroase Schweiz wird längst umgedacht: Die US-Justiz jagt Steuersünder seit Jahren, die Bank UBS musste 2009 in einem Vergleich 780 Millionen Dollar berappen und Tausende Kundendaten preisgeben. Die älteste Schweizer Privatbank Wegelin & Co. wird nach einem gerade gesprochenen US-Urteil ihr Geschäft in Kürze schließen. 

Es ist das Ende des Anleger-Idylls in den Alpen, das Rechtsanwalt Bernd J. Fuhrmann hautnah erlebt und beschreibt: Wohlhabende Amerikaner finden in der Schweiz keine Bank mehr, die ihr Vermögen nimmt, sagt er. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Eidgenossen den deutschen Besitzern von Nummernkonten abverlangen zu unterschreiben, dass sie ihr Vermögen auch ordentlich versteuern. 

Obwohl ein Steuerabkommen mit Deutschland noch gar nicht in Kraft ist, müssen Kunden etwa der Postfinance bereits seit letztem Herbst unterzeichnen, dass sie der Übermittlung ihrer Daten nach Deutschland zustimmen. Es sieht so aus, als hätten sich in der Schweiz nicht nur maßlose Managergehälter überlebt, sondern auch die Nummernkonten.

Geheim sind die Kundendaten ohnehin schon längst nicht mehr. Zuletzt fanden im November 2012 aufgrund der zuletzt angekauften Steuer-CD auch in Bayern erneut Durchsuchungen statt. Und wieder erkundigten sich auch Steuersünder aus Franken und der Oberpfalz, wie sie ihn bewältigen sollen, den Büßer-Gang zum Fiskus.

Rechtzeitig selbst anzeigen

Fest steht: Wer bereits Besuch von der Steuerfahndung bekam, hat zu lange gezögert. Der Ausweg Selbstanzeige funktioniert nur, wenn die Straftat noch nicht entdeckt ist. Und fest steht auch: Weil das Finanzamt eine Vermögensaufstellung verlangt, wird es verzwickt: Diese kann nur errechnen, wer die Unterlagen der Bank einsieht — Dokumente, über die der Anleger gar nicht verfügt. Wer lässt sich die Belege seines Betrugs schon nach Hause schicken? Doch sobald Großreinemachen auf dem Schwarzgeldkonto angesagt ist, benötigen Anwälte wie Fuhrmann Einblick in die Konten — und dies erledigt er nach einem Treffen mit seinen Mandanten vor Ort. 

Kaufleute, Witwen, Angestellte und Selbstständige — die unterschiedlichsten Menschen hätten ihr Vermögen über die Grenze geschafft, sagt Fuhrmann. Freilich spielte die berühmte Gier eine Rolle, doch ist sie nicht die größte Antriebsfeder.

Wer hier investierte und 1948 die Währungsreform erlebt hatte, sehnte sich nach Sicherheit und Verlässlichkeit und einem sicheren Platz für sein Geld. Ein Schweiz-Mythos, der sich bekanntlich seit der Euro-Krise wiederholt: Der Schweizer Franken profitierte von der anhaltenden Unsicherheit in der Eurozone. 

Doch warum die Erträge des Schweizer Kontos verschweigen? Ein ganz legales Bankkonto ist auch in den Alpen drin — für den, der versteuertes Geld anlegt und Zinserträge meldet. Es ging eben auch um einen „Notgroschen“, sagt Fuhrmann. Einen, von dem der Staat nichts weiß. 

Die Fälle ähneln sich, sagt er. Kaum einer hob nennenswerte Beträge ab, „offenbar ging es nur um ein kleines Abenteuer im Alltag“. Ehepaare und Familien fuhren einmal pro Jahr in die Berge, machten Urlaub und besuchten ihr Bankdepot. Das Geld vererbten sie einfach weiter. Der massenhafte Besuch der deutschen Urlauber — so erklärt sich die Bankendichte noch in den entlegensten Tälern.

„Schweigegeld“

In den 70er und 80er Jahren war es vor allem versteuertes Geld, geerbt oder gespart, das in die Schweiz gebracht wurde. Diesmal ging es vor allem darum, die Zinserträge nicht zu versteuern. 

Ein weiteres Phänomen passt ins Bild: Offenbar rechneten die Anleger ihre Erträge, den Zins- und Zinseszins, nie so richtig nach. Der Zins war niedriger als hierzulande, die erhobenen Gebühren dafür auffällig hoch. „Schweigegeld“ sagt Fuhrmann. Steuern zu prellen, gehörte offenbar zum Geschäftsmodell. 

Wer heute noch sein Vermögen in einem Schweizer Bankhaus bunkert, wünscht sich häufig ein Vermögen, das nicht „kontaminiert“ sei. Denn in vielen Fällen ahnen weder Kinder noch Enkelkinder von den schwarzen Konten — doch als Erben stehen sie für die Steuersünden ihrer Altvorderen gerade. 

Von Ulrike Löw